Über die Pilgerfahrt eines jungen Fotografen auf den Spuren
von Sándor Csoma Kőrösi
In November 1819 verlässt Sándor Csoma Kőrösi sein
Heimatland Ungarn, zu Fuß, ohne richtige Ausrüstung, mit wenig Geld, um den
Ursprung des ungarischen Volkes zu suchen. Seine Reise führte ihn bis nach
Tibet, wo er in den buddhistischen Klöstern weisen Lamas traf, die tibetanische
Sprache lernte und sich mit der buddhistischen Lehre auseinander setzte. Mit
der Herausgabe der ersten Englisch-Tibetanischen Grammatik und eines
Wörterbuches legte er die Grundlagen der Tibetologie. Der junge Fotograf Zsolt Sütő hat einen kleinen Teil seines Weges verfolgt, vor allem in den Klöstern
und Bergen West-Tibets. Mit seiner Kamera fi xierte er das greifbar nahe
liegende, immer gegenwärtige, alltäglich Schöne. Doch diese Ausstellung zeigt
nicht nur schöne Bilder, sondern bietet ein verfl och tenes Netz von Zeit und
Raum, mit Knotenpunkten menschlicher Begegnungen zwischen unterschiedlichen
Kulturen und Religionen in Vergangenheit und Gegenwart. Zusammen mit dem
begleitenden Reisetagebuch des Fotografen vermitteln diese Bilder sinnliche
Wahrnehmung, Intuition und Refl exion einer großen Reise zu sich selbst.
Marika Marghescu:
Zsolt Sütő – Himalajablau
Pilgerfahrt auf den Spuren von Sándor Csoma Kőrösi (Alexander Csomavon Kőrös) 1784-1842
Sándor CsomaKőrösi lebte am Ende des18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Er ist in Siebenbürgen geboren und aufgewachsen, dort studierte er Philosophie und Theologie an
dem berühmten Collegium Bethanianum in Nagyenyed, danach dann
Orientalistik an der Universität Göttingen. Dort wurde er
bestärkt in seinem Interesse, die Herkunft des ungarischen Volkes zu
erforschen.
„Da ich sah, wie sehr sich unser Volk sowohl hinsichtlich
seiner Sprache als auch seines Charakters und seiner Tracht von jedem anderen
europäischen Volk unterscheidet und welch große Unsicherheit bei den Gelehrten
der ganzen Welt herrscht über die ursprüngliche Heimat unseres Volkes, über
seine Herkunft, seine ältere Geschichte und über die Verwandtschaft unserer
Sprache mit der Sprache anderer Völker, (…) bin ich, sowohl um dem eigenen
Verlangen nachzukommen, als auch als Dankbarkeit und Liebe zu meinem Volk
ungeachtet der Mühen und möglichen Gefahren aufgebrochen, den Ursprung meines
Volkes zu suchen, dank der Fackel, die ich mir in Deutschland entzündet habe.”
In November 1819 verlässt er Ungarn, zu Fuß, ohne richtige
Ausrüstung, mit wenig Geld. Er ist duldsam, ausdauernd und anspruchslos. Die
Reise hat in mehreren Etappen und mit Unterbrechungen über zwanzig Jahre bis zu
seinem Tod gedauert. Unterwegs hat er um die zwanzig Sprachen gelernt und
sprachwissenschaftliche Forschungen durchgeführt. Bei längeren Aufenthalten in
einigen buddhistischen Klöstern in Tibet hat er von weisen Lamas geleitet die
reichhaltigen Bibliotheken benutzt, die tibetanische Sprache gelernt und sich
mit der buddhistischen Lehre auseinander gesetzt. Das wichtigste Ergebnis
seiner unermüdlichen Arbeit ist die Zusammensetzung und Herausgabe der ersten
Englisch-Tibetanischen Grammatik und eines Wörterbuches. Er hat damit die
Grundlagen der Tibetologie gelegt.
Der Fotograf Zsolt Sütő hat einen kleinen Teil seines
Weges verfolgt, vor allem in den Klöstern und Bergen West-Tibets. Auch er ist
in Siebenbürgen geboren und lebt dort, interessiert sich mit großer Offenheit
für den Buddhismus, ist ein spirituell suchender Mensch und somit bestens
geeignet, um diesem Weg mit der nötigen Empfindlichkeit nachzugehen. Er ist
Realist genug, um auch Kehrseiten und Widersprüche zu erkennen, die er vor
allem in seinem Reisetagebuch festhält. Auf den Fotos aber fixiert er mit der
Kamera das greifbar nahe liegende, immer gegenwärtige, alltäglich Schöne. Sein
Talent äußert sich vor allem darin, das er in der Unendlichkeit der Zeit und in
der Grenzenlosigkeit des Raumes den Augenblick erkennt, den es anzuhalten
lohnt. Er trifft den Ausschnitt des Raumes, der in sich selbst bereits eine
kunstvolle Komposition enthält.
Diese Ausstellung zeigt nicht nur schöne Bilder, sondern
bietet ein verflochtenes Netz von Zeit und Raum, mit Knotenpunkten menschlicher
Begegnungen zwischen unterschiedlichen Kulturen und Religionen in Vergangenheit
und Gegenwart. Zusammen mit dem begleitenden Reisetagebuch des Fotografen
vermitteln diese Bilder neben aufklärendem Wissen auch etwas, das nur durch
sinnliche Wahrnehmung, Intuition und Reflexion nachvollziehbar ist. Nehmen Sie
sich die Zeit. Sie werden wahrscheinlich verwundert erleben, wie Sie nachhaltig
und auf mehreren Ebenen von dieser Ausstellung angeregt und gefesselt werden.
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Pilgerfahrt auf den Spuren von Sándor Csoma Kőrösi
(Ausschnitte aus dem Reise-tagebuch von Zsolt Sütő, 2007)
„Aldous Huxley hat ausgerechnet, dass der Kreis der Stille jährlich um dreizehneinhalb Kilometer schmaler wird. Die Zeit ist nicht mehr weit, behauptet er, bis die Stille ganz von dieser Welt verschwindet. Glücklich wird sein, wer ab und zu im Himalaja oder auf dem Ozean für eine halbe Stunde Beruhigung erlangt. Der Kreis vertrauter Intimität wird immer kleiner.“ Béla Hamvas
Denn auch dies ist nur eine Reise, vergeblich sind hier
jeder und alles bekannt. Ich spüre, dass mir hier nichts gehört. Auch hier
nicht. Ich und wir sind in diesem Gebiet nur auf der Durchreise. Gäste, Gäste
des Lebens. Das Problem ist nur, dass wir schlechte Gäste sind auf dieser Erde.
Touristen – keine Reisenden.
Der Tourismus ist eine legale Form des Terrorismus. Das
Reisen dagegen ist eine Wellenlänge, eine mentale Frequenz. Wo der Reisende
auftaucht, da ruht sich jeder für einen Moment aus. In dem Niemandsland, das er
mit sich bringt. Wenn er voranschreitet, dann wird all das, was vor ihm lag,
stärker. Auf den Spuren der Touristen aber bleibt nichts anderes, nur hungrige
Geister, die allein eine einzige Sache interessiert: die folgende
Touristensaison.
Im Koran gibt es eine Stelle, die Jesus zitiert: Die Welt
und das Leben sind eine Brücke, und verrückt ist, wer darauf ein Haus baut. Das
gilt erst recht für Schwerindustrie, Autobahnen, Tourismus. Reisen, das ist ein
Aufenthalt im Niemandsland. Das Sehen der Butter in der Milch und umgekehrt. In
der Stille den Lärm und umgekehrt.
Nicht im Lärm der Dacia 1300 und dem modernen Piepgeräusch
von Lastwagen im Rückwärtsgang wache ich auf – das macht mich glücklich. Um
sieben weckt mich meine Armbanduhr, ich ziehe die Vorhänge auseinander und
betrachte das tibetische Blau. So wache ich auf.
Ich glaube, die Mittelklasse hat alles verdorben. Diese
Haltung: „Auch ich brauche einen Subwoofer, auch ich will einen Fernseher.“ Es
gab einmal eine hohe Kultur (vorwiegend religiös oder politisch), und es gab
eine „niedere“ Kultur, die Volkskunst. Letztere war ganz einfach und rein, die
andere reichte bis zum Sternenhimmel. Zu beiden Kulturen sind nur ganz
bestimmte Menschen fähig. Die „lauwarme“ Mittelklasse aber will beide und
bezahlt auch meistens dafür, zum Beispiel, um sie zu fotografieren, in
Wirklichkeit aber beherrscht und versteht sie beide nicht. Vor allem aber liebt
sie ihren Magen, die Bequemlichkeit, und sie lebt in dem Glauben, auch so alles
erreichen zu können. So sitze ich also hier in West-Tibet, und höre genau die
Autoalarmanlage, die mir zu Hause in Neumarkt am Mieresch
unter meinem Fenster die letzten Nerven raubt. Hoffnungslos.
Vor lauter Freude stimmen sie Mantragesänge an. Auf dem
Heimweg von Shey sitzen auf der letzten Bank im Bus drei alte Mönche
nebeneinander. Sie waren sehr aufgekratzt und plauderten hitzig miteinander,
manchmal ließen sie verschiedene Mantragesänge erklingen. Einer machte den
Anfang, der andere setzte fort, der dritte brachte den Gesang zu Ende – und
dazu lachten und kicherten sie.
Das ist doch eine Reise, eine wirkliche Reise: Die Dinge,
die mich zu Hause in wenigen Augenblicken ganz aus der Fassung bringen, sind
hier und jetzt natürlich und ich kann gelassen an ihnen vorbei gehen. Ich habe
meine Neurosen zu Hause gelassen. Eine erhabene Landschaft, du wirst sie auf
den Bildern sehen. Und weil Fotografie betrügt, wird sie auf den Bildern sogar
noch schöner erscheinen. Sie verändert sich dauernd mit dem Zug der Wolken – „auf
den Hochplateaus … findest du die seltsamen Mönche …wo die Wolken sich
gegenseitig anstarren … und ihre Schatten auf der Erde …“
Stille, mehrere tausend Meter über der Subwooferworld.
Panorama, blau. Eine grenzenlose Sicht auf eine Welt, die noch breiter und
weiter ist als die Seele. Weder Lärm noch das Treiben der Menschen dringen zu
dieser Höhe hinauf.
Was der Mensch nicht alles mit sich schleppt auf einen
solchen Weg, die Nacht bringt es an den Tag, wenn plötzlich lange nicht
gesehene, lang schon vergessene Gesichter im Traum erscheinen von Menschen,
viele tausend Kilometer von hier entfernt. Manchmal taucht in den Bergen ein
Falter vor dir auf. Zwischen nichts als Steinen, Sand und Felsen – da tanzt
dann ganz plötzlich ein Falter um dich herum. Von hier oben aus dem Kloster
betrachtet erscheint das ganze menschliche Getue, Streben und Klammern
(Samsara) auf eine liebe Weise lächerlich. Mit gutem Willen bekommt man das
Gefühl, die Menschen betätscheln zu wollen, so wie man es mit Kindern tut. Hier
ist selbst die Ruhe noch Beta. Hier kann man sich gut zurückziehen, für eine
Weile, um etwa als Buh-Buddhist das Ngöndro zu absolvieren. Dennoch aber halte
ich an meiner Meinung fest: Was du hier in den Klöstern findest, das ist nicht
der Buddhadharma, sondern eine Form der buddhistischen Kultur, hier eben eine
Variation der ladakh-tibetanischen. Wenn es Buddhismus gibt, dann ist er eben
dann präsent, wenn er nicht da ist.
Morgens um fünf Uhr wache ich mit dem Gong auf. Der ist
nicht zu laut, aber kräftig, tief und zugleich zärtlich. Früh morgens herrscht
eine tadellose Stille im Kloster, im Hintergrund ist nur das Rauschen des
Flusses zu hören, vom Tal aus. Der Gong durchdringt die Wände der Zimmer und
sogar die Felsen, so kommt er zu allen. Auch zu mir. So erwache ich.
Die Fotos lügen. Die Fotografie ist die Kunst der Blendung –
schenk ihr so viel Glauben, wie du der Blendung traust.
Es ist kein Zufall, dass Csoma es war, der diese großen
Dinge vollbracht hat, ich bewege mich höchstens auf seinen Spuren. Kann seine
Spuren mit dem Stock ertasten. Spuren der alten Welt und ihrer großen Geister.
Zeige mir solche Menschen, heutige Menschen, wie Csoma einer gewesen ist.
Persönlich, subjektiv. Keine wissenschaftliche Expedition.
Reise, äußerlich und innerlich. West – Ost. Arm – reich. Traditionell –
postmodern. Zuhause –unterwegs. Daheim – heimatlos. Heimweh – Freiheit. Reisen
– Tourismus. Gesellschaft – Einsamkeit. Tibet – Széklerland. Terra incognita –
terra cognita. Dreißigtausend tibetische Wörter. Reflexion. Pilgerfahrt.
Gedicht. So viele Menschen wie Sprachen. So viele Menschen wie Wege und Farben.
Digitales Diaporama.
Multimedialer Essay. Multimediale Poesie.
Die Tradition der Aufmerksamkeit. Nur und ausschließlich die
Tradition der Aufmerksamkeit interessiert mich. Alles andere, das sind nur
Reiskörner. Kultur. Sehr interessant, dass ich in zwei Rucksäcken lebe: alles
hat schon seinen Ort. Schneckenhaus. Manchmal fehlt mir mein Zuhause sehr –
stimmt schon, auch zuhause ist das so. Das ist die größte Illusion der
Reisenden. Die letzte Neurose. Es gibt kein Zuhause, wir alle sind unterwegs.
Auch du, auch ich, auch Csoma.
Deutsche Überzetsung: Wilhelm Droste